Nordstrasse 25

Die „Geburtsurkunde“ des Hauses Nordstraße 25 datiert vom 20. Dezember 1897. Der Wittener Bauunternehmer Friedrich Lünenbürger stellte damals den Bauantrag für ein Wohnhaus neben dem von ihm bewohnten Nachbarhaus Nr. 23. Ein Jahr später schon war das große prächtige Gebäude fertig. Im Jahr 1919, nach dem Verkauf von Nr. 23, zog seine Witwe mit Familie in das Haus Nr. 25 um.

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Nordstrasse 25

Das Bauunternehmen Lünenbürger und Franzen hatte seinen Bauhof auf dem Gelände der heutigen Böcker-Stiftung. Deshalb hat das Haus Nr. 25 auch zur Rückseite eine mit Stuck verzierte Fassadengestaltung – schließlich konnte man es ja vom Firmengelände aus sehen.

Eine stolze Firma übrigens: von ihr stammen eine Menge Wittener Wohnhäuser, aber auch prominente Wittener Gebäude: den Helenenturm baute 1858 der Maurermeister Christian Foerst, wohnhaft Nordstraße 13, der 1865 den jungen Friedrich Lünenbürger einstellte und ihm 1873 das Baugeschäft übergab. Die Zechen Friederike und Walfisch, die ev. Kirche in Bommern, die Gerichtsschule, Wasserturm Helenenberg und Märkisches Museum, Rathaus (1. Bauabschnitt) und Kaufhaus Alsberg und Blank sowie das Kinderheim Helenenberg sind nur eine kleine Auswahl der Werke dieses Bauunternehmens. Die Franzenstraße in Witten ist heute noch lebendiges Zeugnis der agilen Baumeister-Familien.
Das Gebäude Nordstraße 25 fällt nicht nur durch seine reich gestaltete Fassade auf, sondern bildet auch ein städtebauliches wichtiges Element des gesamten „Hohenzollernviertels“ mit dem heutigen Karl-Marx-Platz und den umliegenden Straßen. Deshalb steht es unter Denkmalschutz. Aus der Begründung der Denkmalbehörde: „Das Gebäude ist bedeutend für Witten aus baugeschichtlichen, künstlerischen und städtebaugeschichtlichen Gründen. Das (…) im historistischen Stil mit reicher Fassadenornamentik errichtete Gebäude zeigt die örtliche Bau- und Handwerkskunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die hochwertigen Dekorelemente sind nahezu vollständig erhalten geblieben. Das Interieur dokumentiert sehr gut den bürgerlichen Wohnstil um die Jahrhundertwende.“

In den 60er Jahren gab es städtebauliche Überlegungen, das altmodische Haus endlich abzureißen und an der Ecke Breite-/Nordstraße ein schönes großes (Waschbeton?)-Parkhaus zu bauen. Danke jedenfalls, dass daraus nichts geworden ist. Stattdessen wurde das Haus Mitte der Neunziger Jahre stilvoll saniert und im Hinterhof ein schöner kleiner Innenstadtgarten angelegt.

Im Hause Nordstraße 25 ging es immer lebendig zu. Die Adressbücher verzeichnen eine bunte Mischung von Einwohnern mit häufigem Mieterwechsel. Sattler, Maschinist, Lehrerin, Verkäuferin, Witwe, Former, Kaufmann, Postschaffner stand zum Jahrhundertbeginn hinter den Namen. Darunter viele junge Frauen, die als „Magd“ und „Dienstmädchen“ verzeichnet sind. Witwen wurden unter dem Vornamen ihres verstorbenen Gatten geführt.

1917 wohnten Isidor Singer und seine Frau Franzy Singer geb. Hebenstreit im Haus – Frau Singer betrieb in der Bahnhofstraße 32  ein „Putzgeschäft“ (Boutique), Isidor Singer kam nach Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft 1920 nach Witten zurück. Ab da wohnten sie in der Steinstraße 17 und dann Casinostraße 10. 1933 wurde das Putzgeschäft als erstes der jüdischen Geschäfte in Witten „arisiert“ – zu einem Bruchteil seines Wertes. Beide Singers wurden nach ihrem Wegzug nach Köln 1939 „in den Osten“ deportiert und ermordet. (Eine andere Quelle berichtet von einer gelungenen Flucht nach Palästina).

Mit ihnen wohnte ab 1915 Hermann Stern in der Nordstraße 25. Er zog nach dem Ersten Weltkrieg in die Wideystraße 16. In der Reichspogromnacht wurde er von der Gestapo verhaftet, kam bis Dezember 1938 ins KZ Sachsenhausen, floh dann mit seiner Familie über Hamburg nach Uruguay und verstarb dort 1947.

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Hinterfront
Nordstrasse 25

In den 30er Jahren (im Haus wohnten nun die Witwen von Friedrich Lünenbürger sen. und jun.), war in der Nordstraße 25 die Geschäftsstelle des Haus- und Grundbesitzervereins Witten und Umgebung. 1938 wohnte kaum noch jemand von den alten Einwohnern im Haus Nordstraße 25. Neuerdings war ein „Bankdirektor“ dabei. Der älteste war der Schlosser Heinrich Siepermann – seit 1920 verzeichnet. Noch 1964 steht er im Adressbuch, nun als Rentner. 1966 steht nun Siepermann, Maria dort – Frauen tauchten erst hinter ihren verstorbenen Männern in den Akten auf.

Seit 1950 steht als Eigentümer Josef Hönerlage, „Metzgermeister a.D.“, im Adressbuch. Seine Erben waren Fritz, seit 1959 Eigentümer, und später Wolfgang Hönerlage aus Essen. Ihnen folgten 1993 Bruno Knust aus Dortmund („Günna“) und seine Ehefrau Gabriele Heinemann-Knust als Eigentümer. Sie ließen das Haus sanieren und in 5 Eigentumswohnungen teilen, verkauften diese, wohnten aber nicht selbst dort.

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Nordstrasse 25 Tür

Seitdem bewohnen meist die Wohnungseigentümer mit ihren Familien das Haus. Kinder wachsen hier auf, Studenten wohnen unterm Dach, Berufe von der Lehrerin bis zum Unternehmer und Pensionär sind wieder dabei. Das Haus Nordstraße 25 hat in 115 Jahren eine Menge Menschen, Geschichten und Geschichte erlebt.

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